Harry’s Bike-Packingtour in den Alpen 2022
Unser Radsportfreund Harry Fürst ist auch dieses Jahr als Bikepacker in den Alpen unterwegs. Und er läßt uns an seinen Erlebnissen teilhaben. Herzlichen Dank dafür.
Hallo, liebe Verwandte und Freunde, ab heute bin ich wieder auf Tour. Heute um 14.15 Uhr starte ich wieder mit dem Flixbus und komme morgen früh um 5.50 Uhr in Marseille an. Von dort aus will ich durch die Calanques, über den Mont Ventoux, durch das Vercors, die Chartreuse, den französischen und schweizerischen Jura immer Richtung Norden fahren. Viele Kilometer, noch mehr Höhenmeter.
Und hier seine Berichte:
Hallo ihr Lieben zu Hause, schöne Grüße aus dem sehr heißen Südfrankreich. Manfred Ströhm hat mir ja besseres Wetter gewünscht als im letzten Jahr. Vielen Dank, so gut hätte es nicht sein müssen. Drei Tage bin ich nun schon unterwegs, komme gut voran und will euch davon berichten:
Tag 1: Marseille-Aix-en-Provence 115 km 2300 Hm.
Um 6 Uhr in der Frühe komme ich nach schlafloser Nacht im FlixBus in Marseille an. Am Yachthafen geht es tollen Radwegen immer am Meer entlang nach Süden Richtung Universität und dann über den Col de la Gineste nach Cassis, in einer traumhaften Bucht gelegen. Direkt aus der Stadt hinaus überrascht mich eine 1,5 km lange Rampe mit zuerst 17, dann 20%. Ich erlaube mir mit meinen üblichen 15 kg etwas zu schieben. Die folgende Route des Cretes ist mit den Ausblicken hoch über dem Meer ein landschaftliches Prunkstück. Bevor ich in La Ciotat das Meer verlasse, steige ich noch in die Fluten, verlasse sie aber bald wieder, ich habe es mir wärmer vorgestellt. Ab jetzt geht es nach Norden. Ein kleiner Col, und ich bin in Aubagne. Noch ein langer und ein kürzerer Pass, Nummer 4 und 5 bringt mich in die Nähe von Aix-en-Provence auf einen hübschen Zeltplatz. Die Landschaft begeistert mich wieder, hierher wollte ich zum Radfahren, wenn es nur nicht so heiß wäre.
Tag 2: Aix-en-Provence- Mont Ventoux 140 km 2900 Hm
Nach 20 km Anfahrt über eine wunderschöne abseits gelegene Radroute erreiche ich Aix und gerate in einen riesigen Markt. Ich überquere das liebliche Luberongebirge, hier kenne ich mich aus, hier war ich früher öfters zum Klettern. Nach jedem Berg kommt ein Tal. Hier liegt das Städtchen Apt. Nach jedem Tal kommen die nächsten Berge, nämlich die Vaucluse-Berge. Jetzt wird es härter. Der Col de Liguieres bringt 800 Hm mit ordentlichen Steigungsprozenten bei weit über 30 Grad im Schatten, den es nicht gibt. Trinken, Trinken, Trinken. Und dann komme ich in Sault an. Kenner wissen: Aha, Mont Ventoux. Ich genieße ein Eis, komme mit einem jungen Würzburger, ebenfalls Reiseradler, ins Gespräch und erfahre, dass am morgigen Sonntag wegen einer riesigen Radveranstaltung alle 3 Anstiege komplett gesperrt sind, auch für Radfahrer. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ein Blick zur Uhr: 17.30 Uhr. Schnell noch in den Supermarkt, dann Richtung Mont Ventoux. Der ursprüngliche Plan war, bis zum Chalet Reynard hochzufahren und dort zu Zelten . Als ich dort ankomme, habe ich noch genügend Zeit, um weiter zu fahren. Ich weiß, was auf mich zukommt, es ist mein sechster Ventoux. Das Schlussstück, die letzten 7 km, fordert nochmals alle meine Kräfte. Als ich um halb neun am Gipfel ankomme, steht die Sonne immer noch hoch. Die Abendstimmung am Gipfel, die unendliche Fernsicht, der Sonnenuntergang sind unbeschreiblich. Ein Highlight.
Ich stelle mein Zelt an einer windgeschützten Stelle auf, Blicke auf einen langen Radtag zurück und freue mich schon auf den Sonnenaufgang auf dem Mont Ventoux.
Tag 3: 1 Mont Ventoux nach Vercors 40 km 1300 Hm
Beginnt auf dem Gipfel des Mont Ventoux. Ich habe eine angenehme Nacht auf dem Gipfel verbracht und werde von ein paar Franzosen aufgeweckt, die den Sonnenaufgang auf dem Ventoux erleben wollen. Sogar ein paar Radler sind schon hier. An den Stirnlampen erkenne ich, dass sie schon im Dunkeln losgefahren sein müssen. Irgendwann muss ich mich von der großartigen Morgenszenerie losreißen und nach Malaucene abfahren. Ich habe Hunger und will der heutigen Veranstaltung aus dem Weg gehen.
Heute durchquere ich die nicht so spektakuläre, aber dennoch sehr reizvolle Drome-Region. Heute ist Sonntag, viele Franzosen sind unterwegs am hübschen Col de la Croix Rouge und am langen Col de la Sausse. Die Landschaft ist eine Mischung zwischen Schwäbischer Alb, Schwarzwald und Appenzell, wenn man solche Vergleiche überhaupt anstellen will. Endlich sehe ich die betörenden Duft ausströmenden Lavendelfelder in großer Zahl.
In Crest überquere ich denke namensgebende Dromedar und lege eine längere Badepause ein. Es hat mehr als 32 Grad.
Nach 30 km, erstmals im Flachland, erreiche ich einen sehr urigen Naturcampingplatz, direkt am Eingang zum Vercors.
Tag 4: Durchquerung des Vercors 135 km 2300 Hm
Wegen der heißen Temperaturen neue Taktik: Wecker auf 5.30 Uhr stellen, zusammenpacken und die kühlen Morgentemperaturen nutzen.
Im letzten Dorf vor dem 900 Hm langen Anstieg zum Col de Limouches gibt es leider keinen Bäcker und damit kein Frühstück. Also einen Riegel einschieben und den endlos langen 9 – Prozenter hochkurbeln. Kurze Abfahrt und dann hätte der Col de la Bataille folgen sollen. Wegen Straßenarbeiten ist der Pass gesperrt, ausdrücklich auch für Radfahrer. Zum Glück gibt es eine einfache Umleitung nach Royans, wo ich sowieso hin musste. Ein Pass weniger, dann wird der Tag halt etwas entspannter- auch recht.
Mit der Gorge de la Bourne, einer tief eingeschnittenen, wilden Schlucht zu komme ich in das Herzstück des Vercors, einer wilden Gebirgslandschaft mit tief eingeschnittenen Tälern, riesigen Felswänden und Hochplateaus.
Dann werde ich von der nächsten Straßensperrung überrascht. Der normale Weiterweg nach Vilard- de-Lans ist nicht möglich. Ein Einheimischer Radler erklärt mir die Umgehungsmöglichkeit: 5 km zum nächsten Dorf hoch und dann ein 10 km langer, wieder 9-Prozenter mit anschließender Abfahrt nach Vilard-de-Lans.
Ich habe eh keine Wahl, stelle mich dem Unvermeidbaren und erfreue mich trotzdem an der großartigen Gebirgslandschaft. Noch ein kurzer Anstieg und dann kann ich es 20 km hinunterrollen lassen- bis nach Grenoble, meinem heutigen Etappenort.
Tag 5: Durchquerung der Chartreuse
115 km 1700Hm
Auf diese Etappe war ich schon sehr gespannt. Andere Radreisende hatten mir schon von der Schönheit dieses Gebietes vorgeschwärmt. Die Chartreuse ist eine Mittelgebirgslandschaft zwischen Grenoble im Süden und Chambery bzw. Aix-les-Bains im Norden. Sie ist sehr dünn besiedelt, stark landwirtschaftlich geprägt und hier wurde übrigens vor ca. 1000 Jahren das Mutterkloster des Kartäuserordens gegründet.
Von Grenoble aus bildet der Col de Porte den Zugang zur Chartreuse, 18 km lang, 1100 Hm, immer zwischen 7 und 10 Prozent steil. Ich bin wieder sehr früh gestartet, der Anstieg liegt noch im Schatten, kaum Verkehr. Mit dem Col de Porte auf 1326 m habe das Tor zur Chartreuse erreicht, einer Mischung aus Allgäu und Schwarzwald, einer sehr grünen Region und damit stark im Kontrast zu den bisherigen südfranzösischen Landschaften stehend. Ein Hingucker ist das Dörfchen St. Laurent du Pont mit seinen vielstöckigen Häusern direkt über dem Guiers-Fluss. Weiteres landschaftliches Highlight und Touristenmagnet ist der Lac d‘Aiguebelette, sehr schön in einem Hochtal gelegen. Aix-les-Bains lasse ich rechts liegen und während ich auf mein Etappenziel Culoz zurolle, fahre ich gleichzeitig auf den zweiten Monsteranstieg meiner Reise zu.
Tag 6: Culoz- Genf
107 km 2250 Hm
Gleich heute Morgen schlägt die Stunde der Wahrheit. Der Mont Colombier steht auf dem Programm. Bei uns ist dieser Berg wenig bekannt, Tour de France- Kenner wissen aber: HC – Hors(t) Categorie, schwerer geht es nicht. An solchen Bergen wird die Gesamtwertung entschieden.
19 km Anstieg, 1250 Hm und knapp 7% Durchschnittssteigung hört sich zunächst nicht so dramatisch an. Wenn man aber weiß, dass im Mittelteil mehrere km eben sind, werden die restlichen Kilometer um so steiler.
Den unteren Teil habe ich mit Anstand hinter mich gebracht, der Mittelteil war erholsam, aber jetzt steht seit 2 km der Zeiger konstant auf 12 Prozent, mit gelegentlichen Ausschläge auf 14. Die km/h waren deutlich weniger, eher so zwischen 5 und 6. Meine Gepäcktaschen vereiteln ein rascheres Vorankommen. Was man in solchen Augenblicken denkt, habe ich zum Glück vergessen. Aber ich kann mit Stolz sagen, dass ich den Gipfel im Sattel erreicht habe und nicht habe schieben müssen.
Leider ist die Aussicht sehr diesig. Abfahrt und gleich noch ein Col, diesmal aber gemütlich und dann bin ich im Jura angekommen. Und bin enttäuscht. Hier ist der Hund erfroren. Nach Tagen provencalischen Flairs und südfranzösischem Ambiente ist hier die Gegend langweilig, die vereinzelten Häuser von trostloser Architektur und von Menschen nichts zu sehen. Keine Bäckerei, keine Bar, nichts. Gottseidank sollte sich mein Eindruck vom Jura in den nächsten Tagen noch gehörig ändern.
An der Barrage de Genissat überquere ich die Rhone und erreiche nach einem anstrengenden Tag meinen Campingplatz in Genf.
Tag 7: Genf -Fleurier an der Areuse
140 km 1700 Hm
Wieder starte ich sehr früh, um die erträglichen Morgentemperaturen auszunutzen. Ich brauche eine Stunde, um vom Süd- zum Nordende der Stadt zu gelangen. Nochmals 15 km bis Gex und dann beginnt der 11 km lange, gemäßigte Anstieg zum Col de la Faucille. Ich erreiche damit ein erstes langes Hochtal mit dem Lac du Joux und über einen zweiten Pass komme ich noch eine Etage höher zum Lac de St.Point. Den ganzen Tag bewege ich mich zwischen 1000 und 1200 Metern, die Temperaturen sind erträglich , es gibt kaum Verkehr und die Seen sind schön in die Hochtäler eingebettet. Mein anfänglich schlechter Eindruck vom Jura hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt und ich finde ihn durch seine Einsamkeit sehr reizvoll.
Mehrmals am Tag habe ich die Grenze zwischen Frankreich 🇫🇷 und der Schweiz 🇨🇭 überschritten und in den langen, ebenen Hochtälern konnte ich mit 140 km ordentlich Strecke machen.
Tag 8: Fleurier- Les Breuleux
95 km 2000 Hm
Schön frisch ist es heute Morgen, ich bin auf über 1000 Metern und brauche eine lange Hose und Anorak. Schön gemächlich geht es der Areuse entlang talabwärts, bis sich das Tal verengt und ein geteertes, schmales, autofreies Sträßlein durch die Areuse-Schlucht nach Neuchatel am gleichnamigen See. Kaffeepause, bevor es nach dem Mont Ventoux und dem Grand Colombier zum dritten schweren Anstieg geht, zum Chasseral. 15 km, 1100Hm, sehr steil. Obwohl der Blick durch den Hochdruckdunst leicht getrübt ist, ist das Panorama atemberaubend. Unten im Tal der Neuenburger See, der Bieler See und der Murtensee und direkt gegenüber die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau sowie allen weiteren 4000ern, die ich früher fast alle irgendwann bestiegen habe.
Für Schweizer Verhältnisse ist das Bier 🍺 im Gipfelrestaurant recht preiswert, da reicht das Geld sogar für ein zweites.
Herrliche Abfahrt nach St. Irmier und über einen in der Nachmittagshitze sehr zähen Aufstieg erreiche ich die Nordhälfte des Jurabogens. Ich bin zwar noch auf 1200 Metern, aber alle Pässe und Gipfel und Anstiege liegen hinter mir, ab jetzt geht es bergab und heimwärts, noch ungefähr 270 km.
Tag 9: Les Breuleux – Basel
94 km 500 Hm
Tag 10: Basel – Stein am Rhein
114 km 800 Hm
Tag 11: Stein am Rhein- Bodnegg
70 km 650 Hm
Die restliche Fahrt nach Hause fasse ich zusammen:
In Delemont (Delsberg) verlasse ich den Jura, es geht immer schön anwärts auf tollen Straßen, allmählich dem Rhein bei Basel entgegen. Einmal knacke ich mit meinem gepäckbeladenen Rad die 70 km/h Grenze. Wie schon im letzten Jahr war mir mein Rose Backroad Gravelbike ein zuverlässiger Partner. Keine Panne, kein technisches Problem, nicht einmal Luft musste ich nachpumpen.
Auf dem Zeltplatz in Kaiseraugst bei Basel gerate ich unter hunderte von Hardcorecampern, die schon seit Stunden kiloweise Grillfleisch und literweise Bier vertilgt haben. Es ist Wochenende und mit Glück kann ich mein Zelt zwischen ein paar andere quetschen. Einer der Hauptprotagonisten hat mir sehr früh am nächsten Morgen aber sogar Kaffee gekocht und mich zum Abschied herzlich umarmt und mit den besten Wünschen verabschiedet.
Das Baden im Rhein ist sehr beliebt, das Wasser war sehr warm und von allerbester Qualität. An viele Stellen ist es möglich, den Fluss abwärts zu schwimmen oder sich hinunter treiben zu lassen. Auch ich habe das mehrmals sehr genossen. Spektakulär auch die Sprünge der Jugendlichen von der Rheinbrücken in Diessenhofen und Stein am Rhein. Aufgrund der Hitze bummelte ich gemütlich den Rhein entlang Richtung Bodensee, übernachtete nochmals bei Mammern am Untersee und am 11. Tag meiner Fahrt erreichte ich um die Mittagszeit Bodnegg.
Zum guten Schluß…
Hallo, liebe Verwandte, Freunde und Bekannte,
meine diesjährige Radreise vom Mittelmeer nach Bodnegg ist zu Ende, seit gestern bin ich wieder zuhause.
Es war wieder ein großes Abenteuer, wo man Abend nie weiß, was der nächste Tag bringt.
Jetzt kann ich es ja zugeben: Ich habe diese Tour geklaut. Von Quäldich. de.
Seit diesem Jahr als Grand Tour im Programm von Freiburg nach Marseille. Am 24. 6. wird gestartet,mit Hotelübernachtung und Begleitservice.
Die Streckenführung ist perfekt ausgewählt, führt über einige grandiose Berge und durch eindrucksvolle Landschaften.
Das Wetter war fast etwas zu schön. Gottseidank vertrage ich die Hitze recht gut.
Eigentlich wollte ich jeden Tag einen Bericht schreiben, das ist mir aber aus verschiedenen Gründen nicht gelungen. Entweder war der Akku leer, kein WLAN oder kein Netz oder ich war einfach zu müde. Und ein bisschen was wollte ich schon über jeden Tag schreiben und mit ein paar Fotos versehen, weil die Berichte auch auf der Homepage des RV Weingarten erscheinen. Deshalb musste ich die letzten Berichte von zuhause nachliefern.
Was bleibt?
Viele Eindrücke, viele Erfahrungen, viele neue Landschaften, Gegenden, Pässe und Gipfel.
Die harten Fakten:
- 11 Tage
- 1300 km
- 18 250 Hm
- 30 Pässe
Vielen Dank für euer Interesse und euren Zuspruch. Mal sehen, ob mir für das nächste Jahr etwas einfällt.
Schöne Grüße an alle bis zum nächsten Wiedersehen!
👍🚴♀️⛺️🌅🇨🇭🇫🇷🍺🍺🍺🥵🔥🏔👍