Rucksacktour – die Fünfte
Mit dem Rennrad in 8 Tagen von Weingarten in die Dolomiten und zurück
925 km / 14.000 Hm
Mit einem Rucksack voll Eindrücken, Erlebnissen, gefahrenen Kilometern und Höhenmetern sind wir am vergangenen Samstag von unserer diesjährigen Rucksacktour wohlbehalten aus den Dolomiten zurückgekehrt.
Bereits zum fünften Mal machten wir uns zu einer 8-achttägigen Etappenfahrt durch die Alpen auf. Während wir in den vergangenen Jahren immer mit dem Zug zum Startort unserer Touren (Salzburg, Bern, Genf) gefahren sind, war diesmal Dirks Idee: Start in Weingarten – drei Etappen bis in die Dolomiten – dort zwei Tourentage ohne Gepäck und anschließend in drei weiteren Etappen auf anderem Weg zurück nach Weingarten.
Der Plan wurde von unserer Gruppe begeistert aufgenommen, so dass Dirk und Rob den genauen Tourenverlauf austüfteln konnten. Der Termin stand schon fast ein Jahr vorher im Kalender. Wie bisher immer, ist die Rucksacktour für alle Teilnehmer eines der Jahreshighlights.
Tag 1: Weingarten-Imst
170 km 2670 Hm
Samstag früh 7 Uhr startet die Gruppe in Weingarten an der Realschule. In Hannober an der Kirche wird Harry noch eingesammelt, jetzt ist die Gruppe vollständig. Die Königsetappe gleich zu Beginn hat den Vorteil, dass man das Härteste nach dem ersten Tag bereits hinter sich hat. Jetzt aber haben wir es noch vor uns.
Wir fahren auf bekannten Wegen ins Allgäu, am Alpsee vorbei, durch Sonthofen hinauf zum Oberjochpass, wo wir den Cabriofahrern ein bisschen auf die Nerven gehen. Im Tannheimer Tal füllen wir unsere Trinkflaschen auf, in Weissenbach haben wir eine größere Pause verdient. Dann nähern wir uns dem Hahntennjoch, dem härtesten Pass der ganzen Tourenwoche mit 1000 Höhenmetern Anstieg. Fünf von uns sind das Hahntennjoch auf der XXL-Tour (siehe Bericht auf der Homepage des RV Weingarten: Der längste Tag) 6 Wochen vorher gefahren und wissen, was auf sie zukommt, die anderen ahnen es.
Erschwerend kommt diesmal das Gewicht unseres Gepäcks (ungefähr 6 kg) hinzu.
Die berühmte Einstiegsrampe ist auf 1 km ständig zwischen 12 und 15 % steil. Wir überholen einen bemitleidenswerten Reiseradler mit noch mehr Gepäck, der die Kurbel kaum herumkriegt und von dem wir uns nicht vorstellen können, wie er es bis zur Passhöhe schaffen will.
Dann wird es flacher und wir durchqueren das Bschlabser Tal. Ab Boden wird es anhaltend steil, auf 5 km Strecke sind die Prozentzahlen immer zweistellig, längere Passagen haben 12 und 13 %, in der Spitze 15 %. Während wir uns zur Passhöhe hochkämpfen und schwitzen wie die ….., beginnt es zu tröpfeln. Eine Wohltat, es hätte ruhig etwas mehr sein können. Dann ist die Passhöhe erreicht, das Treten hat ein Ende und wir rollen den halben Kilometer zur Maldonalm hinunter, dem vereinbarten Treffpunkt.
Nach und nach trudeln alle ein. Für Magic gibt es frische Milch von der Quelle, für die anderen Weizenbier, bleifrei oder fett, je nach Wahl. Nach den überstandenen Aufstiegsstrapazen wird die Stimmung bald recht ausgelassen und wir können dann die schier nicht enden wollende Abfahrt nach Imst hinunter auf inzwischen verkehrsfreier Straße in vollem Tempo genießen. Mit glühenden Bremsen schwingen wir am Hotel Neuner in Brennbichl bei Imst ab.
Tag 2 Imst – Naturns
145 km 1450 HM
In Brennbichl ist heute Kirchtag (Kirchweih). Dazu gibt es im Netz ein schönes Video (YouTube: Kirchtag Brennbichl 2024). Dort ist auch der Fahnenträger wieder zu sehen, mit dem Harry vor dem Hotel fotografiert worden ist, diesmal mit riesiger Fahne.
Bereits vor dem Frühstück wird der Festtag mit Böllerschüssen „eingeläutet“ und als wir um 9 Uhr zu unserer Etappe aufbrechen, müssen wir uns durch die sich versammelnden Festgruppen schlängeln. Der Tag auf der Kirchweih hätte auch ganz nett werden können, aber wir haben ein anderes Ziel: Südtirol.
Wir fahren nach Landeck und dann immer dem Inn entlang bis Martina und erreichen dabei kurz Schweizer Boden. Hier beginnt der Anstieg zur Norbertshöhe, 6 km lang mit knapp 400 HM. Tanja fährt auf der Jagd nach einem neuen FTP allen davon und kann erst in Nauders wieder eingefangen werden. Auf Empfehlung von Horst kehren wir beim „Fliegenwirt von Nauders“ im Haus Marta ein.
Auf dem Weg zum Reschenpass kommen uns hunderte von Mountainbikern entgegen, die von irgendwelchen Flow- oder Hardcoretrails kommend der nächsten Bergbahn entgegenstreben. Am Reschenpass nehmen wir den Radweg auf der westlichen Seite, auf dem wir einige Zusatzhöhenmeter einsammeln.
Dann geht’s abwärts zum Vinschgau hinunter. Burgeis – Glurns – Prad – Schlanders, alles bekannte Namen. Schließlich der wunderschöne Etschradweg – und trotzdem die letzten Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Dann endlich ist nach 145 km das Ziel erreicht: Hotel Lamm in Naturns.
Tag3: Naturns – Wolkenstein
95 km 1500 Hm (Gruppo Cappuccino)
125 km 2700 Hm (Gruppo Sportivo)
Thommes hat heute Geburtstag. Dass er diesen ausgerechnet mit uns verbringt, wissen wir zu schätzen. Wir bringen ihm ein schmissiges Geburtstagsständchen dar, die anderen Hotelgäste klatschen Beifall. Mit seinen 65 Jährchen liegt Thommes altersmäßig im vorderen Mittelfeld unserer Gruppe.
Ein Tag zum Genießen: Schönes Wetter, warme Temperaturen, Steigung minus 1 % – entspanntes Dahinrollen. Nach Bozen geht es gerade so weiter, jetzt Steigung plus 1 %. Im Blumau trennen sich unsere Wege; Gruppo Sportivo fährt über den Nigerpass, Canazei und den Sellapass zum Zielort Wolkenstein. Die Cappuccinogruppe nimmt einen Vorschlag von Thommes auf und fährt von Waidbruck im Eisacktal Richtung Laien hoch und erreicht so das Grödnertal von der Seite. Über St. Ullrich und Santa Christina nähern wir uns Wolkenstein. Der Verkehr nimmt stark zu und die Steigung ebenso. Kurz vor Wolkenstein (Col dala Pelda) werden wir von ein paar üblen Rampen überrascht (14-18%), bevor wir am Hotel Else, unserer Heimstatt für die nächsten drei Tage, ankommen. Gruppo Sportivo sitzt bereits mit betrübten Gesichtern an der Bar vor dem Bier – die Halbe kostet 7,80 Euro.
Der Vollständigkeitshalber sei gesagt, dass Ü+HP nur 85 € kosteten, ein Schnäppchenpreis für Wolkenstein. Frühstück und Abendessen waren hervorragend, Sauna und Whirlpool sind vorhanden – eine klare Empfehlung für das Hotel. Der Abend endet mit einem Umtrunk in Thommes‘ Zimmer, der eine Geburtstagsrunde schmeißt (siehe Foto).
Tag 4: Sellaronda
61 km 1960 Hm
Leider fand der Sellaronda BikeDay (autofrei) erst 4 Tage später am darauffolgenden Samstag statt. So mussten wir die Straße mit dem starken Auto- und Motorradverkehr teilen. Den verkehrsmäßig schlimmsten Teil von Wolkenstein zum Sellapass absolvierten wir gleich zu Beginn, der Rest wurde erträglicher. Landschaftlich ist die Sellaronda natürlich grandios, das möge das Foto illustrieren, deshalb verzichte ich darauf, die üblichen Superlative zu wiederholen.
Nach der Zwischenabfahrt Richtung Canazei ist der Anstieg zum Pordoijoch bei gemäßigter Steigung angenehm zu fahren. Inzwischen sind mehr Wolken aufgezogen und Gruppo Sportivo verzichtet angesichts des unsicheren Wetters auf eine längere Variante über den Falzaregopass. In der Abfahrt nach Arabba brauchts den Anorak, für Schwaben ist es richtig kebelig geworden. Die Auffahrt zum Campolongo: kurz und kaum Verkehr, ebenso die Abfahrt nach Corvara.
Mit einer Pizza frisch gestärkt geht es die letzte Etappe zum Grödner Joch hoch (10 km 611 Hm = 1 Pfänder). Abfahrt in wieder starkem Verkehr nach Wolkenstein, Sauna, leckeres Abendessen und gemeinsamer Abendhock sind die weiteren Programmpunkte.
Tag 5: Seiser Alm
56 km 1750 Hm
Mit dem Rennrad auf die Seiser Alm, das kennt noch keiner von uns. Von Wolkenstein aus muss man dazu das Grödnertal bis Sankt Ulrich wieder hinunterfahren. Dort zweigt die Straße links ab und über den Panidersattel geht es weiter abwärts bis hinunter nach Kastelruth. Für Autos kostet die Fahrt zur Seiser Alm auf der Mautstraße 30 Euro, für uns 1-2 Liter Schweiß. Tausend Höhenmeter, ständig zwischen 9 und 10 %, aber wegen der Mautgebühren fast kein Verkehr .
Die Seiser Alm ist mit 56 Quadratkilometern die größte Hochalm Europas. Die Aussicht auf die nahen Dolomitengipfel Langkofel, Plattkofel und Schlern ist schlichtweg grandios.
Die Seiser Alm war früher im Alleineigentum der Grödner Hoteliersfamilie Bernardi. Inzwischen ist Ong Beng Seng (OBS), ein malayischer Multimilliardär, Mehrheitseigner. Das alles wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern wir genießen die tolle Aussicht und unser Hefe hell und erfreuen uns an der Landschaft.
Für die Abfahrt haben unsere Tourenplaner ein kleines sehr steiles Sträßchen ausgesucht, das in vielen Serpentinen in dichtem Wald talwärts führt. In der obersten Ortschaft Pufels kehren wir nochmals ein, genießen die absolute Ruhe und schaudern bei dem Gedanken, dort hochfahren zu müssen, wo wir gerade heruntergekommen sind. Dann rollen wir hinunter nach Sankt Ulrich, den Rest hinauf nach Wolkenstein kennen wir ja schon.
Tag 6: Wolkenstein – Telfs
158 km 1400 Hm
Wir nehmen Abschied von Wolkenstein und machen uns auf den Rückweg nach Hause. Ein Pass und zwei lange Abfahrten stehen heute auf dem Programm.
Die ersten knapp 30 km von Wolkenstein bis nach Klausen brauchen wir fast nicht zu treten. Wir kommen im Eisacktal an und machen uns auf den Weg in Richtung Brenner. Nach weiteren 50 flachen Kilometern passieren wir Sterzing und Gossensass. Ein kräftiger und frischer Rückenwind schiebt uns die letzten Kilometer zur Brennerpasshöhe hoch. In einer Vinothek finden wir ein Plätzchen im Warmen mit vorzüglicher Pizza bei Vivaldimusik.
Es folgen die sehr schöne, lange Abfahrt über die alte Brennerstraße hinunter nach Innsbruck und lange, ebene 35 km nach Telfs. Dort wartet Kommerzialrat Werner Luchetta (wlan-Passwort: werner007)schon auf uns. Er betreibt das Hotel ganz alleine und außer zwei Motorradfahrern sind wir dort die einzigen Gäste. Entgegen unserer Befürchtungen sind die Zimmer großzügig und modern, das Abendessen gut und preiswert und das Frühstücksbuffet vielfältig. Dass er uns Weizenbier von Öttinger ausschenkt, nehmen wir gelassen hin. Es ist dafür billiger als in Wolkenstein.
Tag 7: Telfs – Wald
128 km 1750 Hm
Nach gutem Frühstück verlassen wir Kommerzialrat Werner Luchetta, fahren einige hundert Meter durch Telfs und befinden uns vor der Hauptaufgabe des heutigen Tages, der Auffahrt zum Buchener Sattel: 7 km, 611 Hm = 1 Pfänder.
Es ist sehr warm und es ist sehr schwül, ganz anders als gestern auf der Alpensüdseite. Der Schweiß fließt in den buchstäblichen Strömen. Wie kann man nur so schwitzen? Ob man nach Öttinger-Weizen mehr schwitzt?
Schließlich sind wir alle oben auf dem Sattel versammelt und für die kommende, über 30 km lange Abfahrt angezogen (Bekleidungstrick für Fortgeschrittene: trockenes Unterhemd als Unterschicht, dann Windjacke und darüber das soeben voll geschwitzte Trikot).
Für den Rest des Tages folgt: Easy cycling und landschaftlicher Hochgenuss. Es geht zunächst hinunter nach Leutasch mit seinen weitläufigen Almwiesen und seinem 16 km langen Hochtal. Am Ende des Hochtals können wir im Vorbeifahren von oben einen Blick in die Leutascher Geisterklamm werfen. Von Mittenwald über Garmisch, Ettal bis Oberammergau durchqueren wir nach den Dolomiten das zweite touristische Epizentrum der Alpen. Wir verschieben die Einkehr, weil in den vielen überfüllten Biergärten am Wege für uns elf sowieso kein freier Platz zu finden wäre.
In Altenau erlebt Rob ein Déjà-vu-Erlebnis, als wir vor einer schönen Wirtshausterrasse anhalten: „Hier war ich doch schon einmal“. Wir sind beim Altenauer Dorfwirt, bei dem wir nach über der Hälfte der Tagesetappe einkehren. Absolute Empfehlung: Bayrischer Wurstsalat.
Die restlichen 60 km führen uns über wunderschöne Radwege, alte Bahntrassen, Wirtschaftswege und kleine verkehrsarme Kreisstraßen unter weißblauem Himmel durch wunderschöne Allgäulandschaften. Bei Lechbruck überqueren wir den Lech, kommen an der Wieskirche vorbei und erreichen schlussendlich unsere heutige Unterkunft, den Landgasthof Berghof in Wald i. Allgäu. Es war die schönste Etappe der ganzen Tourenwoche, darin sind sich alle einig. Vielen Dank an unsere Tourenplaner, die diese tolle Strecke ausgetüftelt haben.
Leute, vergesst Mallorca, Rennrad fahren im Allgäu (egal ob Ost-, Ober-, Unter- oder Westallgäu) ist mindestens genauso schön!!
Im Berghof haben wir bereits die Vatertagstage verbracht, leider hat die Küche heute geschlossen. Deshalb gehen wir zum Abendessen ins Dorf hinunter. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, entsprechend lustig ist es noch geworden. Der Wirt lässt sich auch nicht lumpen, schmeißt eine Runde und gibt noch eine Maß „Lechwasser“ aus. Sein Spezialrezept: 1 Weizen + 1 Fanta (gelb) + ordentlich Curacao-Likör (blau) ergibt 1 Maß Lechwasser (grün).
Tag 8: Wald – Baienfurt
100 km 950 Hm
Der letzte Tag ist schnell erzählt. Die Etappe ist mit 100 km vergleichsweise kurz und bringt uns auf schönen Straßen mit Rückenwind über Ober- und Unterthingau, Obergünzburg nach Kronberg und Illerbeuren. Damit sind wir im Tagestoureneinzugsgebiet von Weingarten angelangt. In Bad Wurzach schlotzen wir noch ein paar feine Eiskugeln und nach einem etwas holprigen Mannschaftszeitfahren auf der Rennstrecke von Bergatreute nach Baienfurt schwingen wir dort bereits am frühen Nachmittag am M3 ab. Noch ein Gruppenfoto und der obligatorische Abschlusshock, dann ist unsere fünfte Rucksacktourenwoche bereits wieder Geschichte.
Was bleibt?
Hier wiederhole ich das Fazit des Jahres 2023, denn es hat sich alles auf bewährte Weise wiederholt. Wir erlebten wieder ein unvergessliches Radabenteuer im Kreise einer Gruppe Gleichgesinnter, mit Start und Ziel in Weingarten diesmal ökologisch 100% naturrein. Gemeinsames Leiden und Schwitzen und sich Freuen über das Erlebte verbindet. Alle haben zum Gelingen der Wochen beigetragen. Trotzdem will ich folgende Personen hervorheben:
Dirk war diesmal der Ideengeber und Planer, Rob gab der Komootplanung durch sein Feintuning den letzten Schliff und führte uns unter Assistenz von Tommi als Road-Captain wie immer souverän über die fast 1000 km lange Strecke und Bernd regelte die Finanzen unserer Unternehmung.
Zu erwähnen ist, dass wir während der ganzen Woche keine einzige Panne, keinen Unfall und sehr großes Wetterglück hatten.
Alle freuen sich schon darauf, wenn es heißt: Rucksacktour – die Sechste.
Bericht: Harry Fürst