Harry Fürst bei Mallorca 312

Im vergangenen Herbst las ich in einer Radzeitschrift einen netten Erlebnisbericht  über die Teilnahme an der Radveranstaltung  „Mallorca 312“und einen Hinweis über die Neuauflage im April 2018. Da wir kurz zuvor einen 14-tägigen Radurlaub auf Mallorca für April gebucht hatten, interessierte mich die Sache näher. Ein paar Klicks auf der Homepage des Veranstalters und ich stellte erstens fest, dass der Renntermin genau am Ende unseres 2-wöchigen Aufenthaltes lag und dass es noch ein paar hundert freie Startplätze gab.

3 Strecken waren zur Auswahl: 167 km/2500 Hm, 225 km/ 4000 Hm und 312 km/5000 Hm. Welche Strecke man fuhr, konnte während des Rennens entschieden werden.

Das Rennen lag zwar etwas früh im Jahr, aber irgendetwas wird schon gehen. 80 Euro wurden überwiesen und eine Stunde später hatte ich  meinen Startplatz.

 

Die Veranstaltung:

Mallorca 312 fand in diesem Jahr erst zum 9. Male statt und entwickelte sich in kurzer Zeit zum größten Sportevent Mallorcas. War es in den ersten Jahren noch eine komplette Inselumfahrung mit 312 km, wurde aufgrund der steigenden Teilnehmerzahlen die Route in den vergangenen Jahren mehrfach geändert und wegen der Verkehrsprobleme der Großraum Palma ausgespart. Die Teilnehmerzahlen stiegen rasant: 2016 nahmen 4500 und 2017 6000 Radler teil, dieses Jahr waren es bereits über 8000 Teilnehmer. Eine grandiose Streckenführung, gesperrte Straßen auf der gesamten Strecke, abwechslungsreiche und üppige Verpflegung und eine perfekte Rennorganisation kennzeichnet die Veranstaltung. Für die Spitzenfahrer ist es ein Rennen, Zeitnahme gibt es für alle.

Mit Start und Ziel in Playa de Muro führt die Strecke durch das Tramuntanagebirge, UNESCO-Weltkulturerbe, das viele von euch vom Küstenklassiker her kennen. Dies ist aber nur der Auftakt. Anschließend geht es durch die Landschaften des Landesinneren wieder Richtung Ostküste.  9 Colle sind auf den 312 km zu bewältigen. Darunter der Puig Major, mit 1445 m höchster Berg der Baleareninsel. Die Richtzeit für die lange Strecke liegt bei 14 Stunden.

 

Die Vorbereitung:

Nach dem Schwarzwald-Super-Marathon Anfang September des letzten Jaahres war ich kaum mehr auf dem Rad gesessen, die Skitourensaison begann Mitte November recht früh und mir war klar, dass ich mit ein paar Kilometer in den Beinen im April nach Malle anreisen sollte. 2000 km war mein Ziel, geworden sind es 1300 und fast keine Höhenmeter – den ganzen März über war wegen einer lange andauernden Erkältungskrankheit nicht ans Radfahren zu denken. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für Mallorca 312. Dann eben Mallorca 225 oder Mallorca 167.

Auf Mallorca angekommen, drehe ich mit Helga und Bernd ein paar entspannte 100-km- Runden, darunter die traumhaft schöne Sa Calobra-Strecke. Mitte der ersten Woche ein Härtetest: In 7,5 Stunden fahre ich in einem Rutsch die 167-km-Strecke. Geht ja. Dazu noch zwei zügige 100-er. Donnerstag und Freitag wird nicht Rad gefahren – Pool ist angesagt. Dazu Speicher auffüllen, auch mit Erdinger, nicht alkoholfrei.

 

Der Marathon:

Gut ausgeschlafen und gefrühstückt begleitet mich Helga in der Dämmerung die 7 km von unserem Hotel zum Startgelände. Punkt 6.30 Uhr reihe ich mich in die rechte der beiden Starterschlangen ein.

Noch 30 Minuten bis zum Start. Wer ganz vorne sein will, muss um 6 Uhr oder früher da sein. Sehr gelöste Stimmung überall. Grob geschätzt befinde ich mich am Ende des ersten Drittels des Starterfeldes. 2 Trinkflaschen, 2 Bananen, 6 Gels, 2 Powerbar-Riegel habe ich dabei, dazu eine Windweste.

Es könnte losgehen. Um 7 Uhr passiert noch nichts, aber 5 Minuten später fällt der Startschuss. Die offizielle Zeit läuft, bei uns hinten läuft zunächst noch gar nichts. Neidisch blicken wir auf die linke Startreihe, die sich langsam in Bewegung setzt, während wir immer noch stehen. Die Spitze des Feldes hat wahrscheinlich Alcudia schon erreicht, als wir endlich mit Trippelschritten in unserem Startkorridor loslaufen können. Nochmals ein kurzer Stau und dann können wir uns tatsächlich in den Sattel schwingen. 11 Minuten nach dem Startschuss überquere ich die Startlinie, über den Chip an der Startnummer am Lenker wird meine persönliche Zeit genommen.

Höchste Konzentration ist am Anfang gefordert. Das Fahrerfeld ist dicht, rechte und linke Startreihe vereinigen sich, Kreisverkehre, eine Baustelle, die ersten noch harmlosen Stürze. Dann geht es die breite Küstenstraße von Alcudia Richtung Pollenca, alle haben Platz, die Anfangshektik weicht. Rechts über dem Meer ein wunderschöner Sonnenaufgang.

Laut Veranstalter ist auf den ersten 25 km das Rennen neutralisiert, davon bekommen wir hier hinten nichts mit. In flotter Fahrt in großen Pulks geht es der Serra Tramuntana und damit dem ersten Anstieg entgegen. Die Straße steilt sich auf, erste Kehre, das Feld schiebt sich zusammen. Jeder versucht, seinen Rhythmus zu finden, die Steigungsprozente sind angenehm. Jetzt ist auch Zeit zum Schauen. Man hört viel Spanisch und Englisch, man sieht High-End-Räder aller Marken, durchtrainierte Top-Athleten, bärenstarke Frauen, tätowierte Männerbeine, Übergewichtige, die sich jetzt schon arg plagen. Auf der Straße liegen immer wieder verlorengegangene Windjacken, Armlinge, Riegel, Sonnenbrillen. Es ist sehr kurzweilig.

Nach 650 Höhenmetern ist der erste Col erreicht. Gut gelaufen, Abfahrt zum Kloster Lluc, dann der Anstieg Richtung Puig Major.

Jetzt muss auch ich mal anhalten. Windjacke aus, Pinkeln. Kostet mich 200 Plätze. Zwischenabfahrt, ich sehe den ersten schlimmen Sturz. Die erste Verpflegungsstelle am Stausee Gorg Blau lasse ich aus, meine Taschen sind noch voll. Ich rücke um 300 Positionen nach vorne. Ein paar steilere Rampen bringen uns zum höchsten Punkt des Tages, dem Puig Major. Es folgt ein unendlich lange und herrliche Abfahrt auf allerbesten und vor allem verkehrsfreien Straßen nach Soller und damit ans Meer hinunter.

Ein Kilometer eben und dann geht’s auch schon wieder hinauf. Das alles in einer atemberaubend schönen Landschaft, die man aber nur teilweise genießen kann. Wir durchfahren Deja und Valdemossa, dann zweigt die 167-er-Runde links ab. Ich zweige nicht ab, sondern fahre geradeaus. Weiter geht es entlang der Küste westwärts, auf. und ab. Sehe den zweiten schlimmen Sturz. Ein letzter Anstieg, eine lange genussreiche Abfahrt und nach 130km und vielen Höhenmetern ist Andratx erreicht. Das Schlimmste ist überstanden.

Ja, von wegen. Gleich hinter Andratx bringt uns die Route ins Gebirge zurück. Zwei knallige Anstiege steigern die Höhenbilanz um weitere 800 Höhenmeter, bevor es endlich, endlich ins flachere Land und damit quer über die Insel Richtung Ostküste geht.

Für längere Zeit kann ich in einer schnellen Gruppe mitschwimmen, das Tempo ist flott, ständig um die 40 km/h. Dann wird es wieder welliger, an Alaro vorbei erreichen wir die Verpflegungsstation Lloseta.

Wenn ich sagen würde, ich schwinge mich vom Rad, wäre das maßlos übertrieben. Nach so vielen Kilometern ist eher von einem sehr vorsichtigen, meinem Alter entsprechenden, behutsamen Absteigen zu sprechen. Der Körper will die stundenlang eingenommene Sitzhaltung gar nicht aufgeben und es dauert eine Weile, bis man wieder in eine aufrechte Gehposition gelangt. Sicher kein schöner Anblick.

Hunderte von Radlern stehen dichtgedrängt an den Verpflegungsständen, die freiwilligen Helfer kümmern sich mit großem Engagement um alle, füllen die Flaschen und bringen Getränke und Verpflegung. Die Stimmung ist hervorragend.

190 km liegen hinter uns, weiter geht’s. Campanet, Sa Pobla und dann eine unscheinbare, aber entscheidende Wegegabel. 211 km sind gefahren, es ist 16.15 Uhr. Wenn ich nach links fahre, bin ich auf der 225-er-Runde und in einer halben Stunde im Ziel. Wenn ich geradeaus weiterfahre, habe ich noch genau 100 km vor mir. Ich kalkuliere kurz: es müsste auf jeden Fall bis zum Zielschluss um 21 Uhr bei Helligkeit ins Ziel reichen. Kraft ist noch da, Motivation auch. Also geradeaus weiter. Wenn ich schon mal da bin….

Die Reihen lichten sich, nur vereinzelte Fahrer sind noch zu sehen, keine Gruppen weit und breit. Die Route führt wieder zurück ins Landesinnere und ich stehe plötzlich voll im Gegenwind. Allein. Weiter vorne kämpfen ein paar Versprengte denselben Kampf. Ich muss die nächsten 20 harten Kilometer überstehen, bevor es bei Petra wieder nach Westen geht. Von vorne kommt jetzt nicht mehr der Wind, dafür aber eine Unzahl von Wellen, Hügeln und ein paar kurze, giftige Anstiege. Jetzt wird es zäh. Erstmals am heutigen Tag brauche ich das größte Ritzel. Für sich allein gefahren ist dieser Streckenteil von Petra nach Arta eine wunderschöne Tour auf kleinen und kleinsten Sträßchen. Jetzt nach 270 km sehnt man sich das Ende dieses ewigen Auf und Abs herbei.

Endlich kommt die lange Abfahrt nach Arta, der letzten Verpflegungsstation. In Arta gibt es Bier, das weiß ich aus Berichten. In Arta ist Volksfest. Alle Radler drängen sich durch  das enge Spalier der jubelnden Menschenmenge. Südländische Begeisterung. Schulterklopfen, Beifallsstürme, dröhnende Musik – es herrscht eine Stimmung wie auf dem Rutenfest nach dem Abschuss des Reichsapfels. Von allen Seiten werden Bier, Cola, Speisen angeboten. Man muss nichts holen, alles wird einem gebracht.

Allein wegen dieser Viertelstunde in Arta hat es sich gelohnt, die 312 km zufahren.

Aufgeputscht durch Cola, Bier und die Bombenstimmung fliegen wir den letzten langen Anstieg hinter Arta hoch. Der Wind kommt jetzt von hinten. Ich finde Anschluss an eine flotte Gruppe  und in zügigem Tempo fahren wir genau in Richtung der tiefstehenden Sonne. Es ist fast schon kitschig, so schön ist es. Heute Morgen der Sonnenaufgang, dazwischen 12 Stunden im Sattel und jetzt steht die letzte Abendsonne direkt vor uns.

Die Gewissheit, es geschafft zu haben, stellt sich ein, Adrenalin und Endorphine lassen alle Müdigkeit und Schmerzen vergessen.

Vor Can Picafort klinke ich mich aus der Gruppe aus und rolle zum Kreisverkehr vor unserem Hotel hinunter. Helga, Margret und Bernd warten dort auf mich und empfangen mich begeistert. Hier ist eigentlich meine Runde schon zu Ende, hier bin ich heute Morgen losgefahren. Die restlichen 7 km nach Platja de Muro sind Zugabe.

Um kurz vor halb neun Uhr fahre ich durch den Zielbogen.

  • 13 Std. 22 Min. nach dem Startsschuss
  • 13 Std, 11 Min. nachdem ich über die Startlinie gefahren bin.
  • 12 Std. 20 Min. war meine reine Fahrzeit
  • 25, 3 km/h betrug der Stundendurchschnitt
  • 312 km bin ich gefahren und
  • 5050 Höhenmeter habe ich bewältigt.

 

Mallorca 312 – es war ein langer und unvergesslicher Tag auf Mallorca, sicher der Höhepunkt in meinem Radfahrerleben.

Übrigens, wer Lust bekommen hat:

Mallorca 312 im Jahre 2019 findet am 27. April 2019 statt. Das Anmeldeportal ist bereits geöffnet. Ich kann die Tour sehr empfehlen.

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